Cosmic Fruits (dt)

Alexi Tsioris. Cosmic Fruits
15.3.-27.4.2019

Alexi Tsioris erachtet seine Zeichnungen als das Wurzelwerk seiner Arbeit, als den Moosboden, aus dem alles Übrige herauswächst. Immer wieder spricht er von seiner nie versiegenden Faszination, die der Abstraktionsgrad von prähistorischen Höhlenzeichnungen wie etwa denen von Lascaux bei ihm ausgelöst hat. Über die Zeichnung ist dieser Künstler letztlich zur Skulptur gelangt. Niemals eignet seinen Zeichnungen aber – wie der herkömmlichen Bildhauerzeichnung – eine dienende Funktion im Sinne der Werkvorbereitung. Seit 2006 entstanden zahlreiche Blätter, überwiegend mit Filzstift, Bleistift und Kugelschreiber gezeichnet. Vielgestaltigkeit und Phantasie ihrer formalen Erfndungen scheinen unerschöpfich. Es herrscht ein zumeist weicher Linienduktus, der sich in unterschiedlichen „Strichsprachen“ ebenso frei ondulierend wie zu dichten Knäueln verwoben Bahn bricht. Man möchte an Meret Oppenheims schöne Formulierung denken: „Jeder Einfall wird geboren mit seiner Form. […] Man weiß nicht, woher die Einfälle einfallen; sie bringen ihre Form mit sich […].“ Tsioris’ Zeichnungen sind in ihrem lapidaren Linienstil – schattenlos und unräumlich – autonome Arbeiten, vitale Entsprechungen seiner dreidimensionalen Arbeiten. Die Transparenz zeichnerischer Überlagerungen verhält sich durchaus äquivalent zur Volumendurchdringung bei den Skulpturen. In Zeichnung wie Skulptur kann von einem Übereinander-Bau von Energien gesprochen werden. Das Nicht- Vorgewusste und die Rolle des Zufalls sind bei Tsioris in beiden Medien entscheidende Faktoren. Sie prägt eine mehrschichtige Struktur. Lineare Überzeichnungen und Überschreibungen haben nicht selten den Charakter von Palimpsesten, deren oberste Schicht stets noch erahnen lässt, was darunter liegt bzw. ausgelöscht wurde. Das Prozesshafte des Arbeitens von Tsioris ereignet sich in einem beständigen Austausch zwischen Aufbauen und Reduzieren. Es ist der zwei-oder dreidimensionale Materialisationsprozess, der die Idee den formalen Notwendigkeiten unterwirft. Beim plastischen Arbeiten ist dem Künstler das Material Gips am meisten adäquat. Mit ihm hat er das permanente Formbilden und Wegnehmen, Hinzufügen und Abschlagen im Gestaltprozess einer Skulptur am unmittelbarsten in der Hand. In einem weitgehend gegenstandsfernen, nicht mimetischen Sinn entstehen so plastische Konfgurationen, die immer wieder an Büsten oder auf konischen Sockeln montierte, anonyme Kopformen erinnern. Es sind primär „plastische Tatsachen“, eine „Folge plastischer Geschehnisse“, an deren Beginn „nur eine vage Idee“ existierte (Henri Laurens). Neben den Zeichnungen und den Monotypien, deren Geheimnis im Indirekten des Druckvorgangs gründet, wobei die Sinnlichkeit ihrer Erscheinung nicht zuletzt die verwendeten Papiere mitbestimmen, entstehen gegenwärtig auf mehrschichtig grundierten Leinwänden auch großformatige Gravuren, deren Lineaturen gleichsam herausgekratzt sind: im unmittelbar haptischen Sinn Reduktionen, die Materie freigeben. Aus den Arbeiten von Alexi Tsioris strahlt eine überaus eigene Poesie. In Technik und Vorgehensweise von eher traditioneller Faktur, sind sie unstrittig Zeugnisse ihrer Zeit: Schöpfungen eines hochsensiblen, zur Verschlossenheit neigenden Charakters, in deren künstlerischer Form, deren Rhythmus, der oft spielerischen Ponderation von Linie und Volumen sich Klassisches kongenial mit dem Exzentrischen, dem Kuriosen, Fremden und Extravaganten verbindet.

Dr. Michael Semff