Flaum & Splitter

Alexi Tsioris erzeugt mit seinen Arbeiten einen Kosmos hochpräziser Formulierungen. In diesen wird ein spezifischer Aspekt des Wirklichen konserviert – das Ephemere, das Flüchtige. Er schreibt in seine Arbeiten einen Strich ein, der dort anfängt, wo die Annahme eines Ganzen aufhört und dort endet, wo eine solche Annahme sich wieder einstellen möchte und definiert damit einen Ort, von dem man annehmen möchte, ihn immer schon gekannt zu haben, in einem Gebiet, von dem es keine Karten gibt; als wäre man einen Weg gegangen, den man immer gegangen ist, nur am Ende befindet man sich dort, wo man nie gewesen ist. Als solches ist das eine ganz eigene Form der Abweichung, so in der Art einer nicht wahrgenommenen Umkehrung …

Die Eigenart der Monotypie ist, dass sich das Resultat bei der Produktion auf der abgewandten Seite befindet, das Zeichnen überträgt sich in einem der Spiegelung ähnlichen seitenverkehrten Verhältnis in die Monotypie selbst. Wenn der Moment, das Jetzt des Zeichnens, sich an einem der Wahrnehmung nicht zugänglichen Ort, nämlich unter der dem Werkzeug des Einschreibens befindlichen Stelle verbirgt (Derrida), so radikalisiert es sich bei der Monotypie. Dadurch, dass sich der Gestus gegen das eindeutig Sichtbare bei Alexi Tsioris auf vielen Ebenen antizipiert, entsteht bei seinen Monotypien eine andere Art der Transparenz – es erscheint der ‘blinde Fleck’ der Präsenz.

Tsioris Arbeiten finden ihre Materialisation – sei es in der Übertragung der Monotypie, in den Skulpturen oder im Druck – in dem Augenblick kurz vor der Auflösung; so schiebt sich das Nichtstatische ins Statische ein. Eine anfängliche Idee hat sich so oft hin- und hergespiegelt, dass sie aus der Konzeption geglitten ist: Überzeichnungen, -schreibungen finden statt, Reste verharren unter Schichten, werden in ihrer Auflösung beibehalten. Tsioris greift eine Idee auf und beginnt sie aufzuweichen, zu atomisieren. Er treibt sie Richtung Rand und in dem Moment, wo sie, die Idee, über diesen Rand gerät, droht hinabzustürzen, nimmt er ihre Form auf – in einem metaphorischen Sinne entstehen ‘Flaum und Splitter’. Die Büste, der Kopf, das Porträt fließen hinweg, setzen sich neu zusammen aus handgeformten, weichen Wülsten, als träfen sich hier alle körperbedeckenden Haarsträhnen der Maria Magdalena. Formalen und mimetischen Ähnlichkeiten wird ausgewichen. Es entsteht kein archetypisches Ur-Denken des Kopfes, präzise Zufälligkeit macht sich breit, bezugslose Splitter kommen zusammen. Die Geschichte dieser skulpturalen Form, dieses Topos versichert sich dessen, dass sie ihr einigendes Narrativ verloren hat. Aus eingefärbtem Silikon angehäufte monolithische Blöcke, eingestellt in sture, an Archive erinnernde Regale, ziehen eine Linie von dem, was einmal die Skulptur gewesen ist – vielleicht die Ur Idee einer dreidimensionale Ausdickung – zu dem, was Tsioris gerade noch als Restbestand davon übrig lässt.

Um einmal kurz die Dimension aufzuzeigen, in die diese Arbeiten hineinspielen: das Bestimmte oder Besondere befindet sich in einem immer wieder seltsamen Verhältnis zum Allgemeinen; die Risse in diesem Verhältnis geben einen Einblick in ein nicht-kartographiertes Gebiet der Kunst, dort, wo die Repräsentation abkippt in bloße Präsenz.